KI in der optischen Qualitätsprüfung: Funktionsweise, Vorteile und Herausforderungen

Das Wichtigste in Kürze

  • Künstliche Intelligenzen benötigen keine festen Regeln für die optische Qualitätsprüfung, sondern können die Qualität von Bauteilen aufgrund ihres Trainings selbst einschätzen.
  • KIs sind in der Lage, komplizierte Teile zu prüfen sowie auf unterschiedliche Fehler und Bedingungen zu reagieren. Dadurch lässt sich die Qualitätsprüfung an immer mehr Stellen automatisieren.
  • Für den produktiven Einsatz sind hohe Investitionen in Hard- und Software sowie große Datenmengen für das Training erforderlich.

Was ist optische Qualitätsprüfung?

Optische Qualitätsprüfung ist ein Prozess in der Industrieproduktion, bei dem Teile vor der Weiterverarbeitung auf Fehler kontrolliert werden. Entweder schauen sich menschliche Prüfer die Teile an, oder ein automatisches System aus Kameras und Bildverarbeitungssoftware übernimmt diese Aufgabe (Machine Vision). Mangelhafte Teile werden aussortiert oder nachbearbeitet. Der Prozess wird auch Sichtkontrolle oder visuelle Prüfung genannt. Diese Art Prüfung ist vor allem in Bereichen wichtig, wo es hohe Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen gibt und Fehler zu schwerwiegenden Folgen führen können.

Wie funktioniert künstliche Intelligenz in der optischen Qualitätsprüfung?

Maschinelle Bildverarbeitung wird in der optischen Qualitätsprüfung schon seit Jahrzehnten eingesetzt. Das funktioniert so:

  1. Kamerasensoren fotografieren die Prüfobjekte.
  2. Eine Software analysiert das Bildmaterial.
  3. Algorithmen entscheiden anhand vorgegebener Kriterien, ob das Objekt die vorgegebenen Qualitätsstandards einhält.

Künstliche Intelligenzen verändern dieses Prinzip nicht. Sie erweitern die Fähigkeiten der Bildverarbeitungssoftware. Durch einen Vergleich mit regelbasierten Algorithmen lässt sich dies am verständlichsten erklären.

Regelbasierte Algorithmen

Herkömmliche Algorithmen treffen Entscheidungen anhand fest programmierter Regeln. Nehmen wir an, ein Algorithmus soll prüfen, ob die Spaltbreite zwischen zwei Teilen fünf Millimeter oder weniger beträgt. Er wertet die Fotos der Teile dahingehend aus und kann zu zwei Ergebnissen kommen: entweder, die Regel wird erfüllt oder nicht. Solche Entscheidungen in der Qualitätskontrolle werden i.O./n.i.O. (in Ordnung/nicht in Ordnung) genannt, oder auf Englisch OK/NOK (okay/not okay). Soll sich der Algorithmus anders verhalten, muss sein Regelwerk angepasst werden.

KI-basierte Algorithmen (Machine Learning)

Wenn heutzutage von künstlicher Intelligenz gesprochen wird, ist fast immer von Machine Learning (Maschinelles Lernen) die Rede. Dabei wird ein KI-Modell (eine Kombination vieler Algorithmen) mit großen Datenmengen trainiert. Dadurch lernt es, eigene Entscheidungen zu treffen.

So auch im Kontext der optischen Qualitätskontrolle: Die Bildverarbeitungssoftware wird mit Fotos von fehlerfreien und fehlerhaften Teilen gefüttert. Sie bekommt dadurch ein Verständnis von den möglichen Fehlern und woran diese zu erkennen sind. Das KI-Modell benötigt keine festen Regeln für die Qualitätskontrolle. Es entscheidet aufgrund seiner Erfahrung selbstständig, ob ein Teil in Ordnung ist. 

Je besser KIs trainiert sind, desto besser werden ihre Fähigkeiten. Sie arbeiten mit Wahrscheinlichkeiten: sie ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Teil gut oder schlecht ist. Dabei kann es auch Fehleinschätzungen geben.


Typische Anwendungsbereiche von KI in der optischen Qualitätskontrolle

  • Produktion von Fahrzeugen, Flugzeugen, Maschinen, Anlagen: Prüfung von Oberflächen, Nähten, Verbindungen
  • Produktion von Elektronikbauteilen: Prüfung des Layouts und der Bestückung von Leiterplatten, Prüfung der Reinheit von sensiblen Bauteilen
  • Produktion von Lebensmitteln: Prüfung der Reinheit und des Erscheinungsbilds; z. B. ob Fremdkörper enthalten sind und Pizzen richtig belegt sind
  • Produktion von medizinischen Produkten: Prüfung der Etikettierung und Beschriftung; z. B. Warnhinweise auf Medikamenten
  • Logistik: Prüfung von Paketen auf Beschädigungen

Vorteile der KI-basierten Bildverarbeitung in der optischen Qualitätsprüfung

Nicht immer ist eine KI in der optischen Qualitätsprüfung erforderlich. Bei einfach i.O./n.i.O.-Prüfungen, wie oben beschrieben, reicht die Bildverarbeitung mit regelbasierten Algorithmen aus. In welchen Szenarien spielen KI-Modelle ihre Stärken aus?

Schnellere Datenverarbeitung

Hochauflösende Fotos und 3D-Bilder erzeugen große Datenmengen. KIs können Daten deutlich schneller analysieren als normale Algorithmen. In einer automatisierten Fertigung müssen die Teile in Echtzeit geprüft werden; Schnelligkeit ist also ein kritischer Kostenfaktor.

Komplizierte Teile prüfen

Menschliche Prüfer sind auch in der Massenfertigung bis heute noch unverzichtbar: etwa bei Teilen mit komplizierter Bauform oder Teilen mit vielen verschiedenen Varianten. Dort braucht es ein geschultes Auge und Erfahrung, um Fehler zu erkennen. KI-Modelle können menschliche Erfahrung nachahmen und deshalb auch solche Teile zuverlässig bewerten. Diese Arbeit ist für Menschen extrem anstrengend, durch Automatisierung werden sie entlastet. 

Verschiedene und unbekannte Fehler erkennen

Regelbasierte Algorithmen erkennen nur Fehler, die in ihren Regeln beschrieben sind. Wenn eine Software die Spaltbreite prüft, erkennt sie nicht, wenn die Kante eines Teils eine Delle hat. Manche Fehler lassen sich gar nicht in Regeln erfassen: Schweißspritzer oder Kratzer auf Oberflächen etwa. Sie können praktisch jede Größe, Form und Position haben. Solche Fehler lassen sich nur mithilfe von KI-Modellen zuverlässig erkennen. Die KI weiß, wie ein gutes Teil aussieht, und erkennt Abweichungen davon. Sie kann beispielsweise auch lernen, zwischen einem Kratzer und einem Schmutzfleck zu unterscheiden.

Kommt mit wechselnden Bedingungen zurecht

Die Umgebung kann die Bildqualität der Prüfaufnahmen beeinträchtigen: etwa verursacht Lichteinfall Schatten und Spiegelungen auf einem Bauteil. Ein normaler Algorithmus würde dann einen Fehler melden. Ein KI-Modell kann mit solchen Einflüssen umgehen und diese aus den Bildern herausrechnen – vorausgesetzt, es wurde darauf trainiert.

Weniger Pseudo-Fehler

Überhaupt meldet ein regelbasierter Algorithmus alles als Fehler, was er nicht kennt. Ebenso alles, was die eingestellten Prüfwerte nur minimal über- oder unterschreitet. Dadurch entstehen Pseudo-Fehler: Teile, die gut oder gerade noch akzeptabel sind, werden aussortiert. In der Massenproduktion können selbst Pseudo-Fehlerraten im Nullkomma-Bereich hohe, unnötige Kosten verursachen. Durch die oben beschriebenen Fähigkeiten kann KI diese Rate deutlich senken.

Herausforderungen der KI-basierten Bildverarbeitung in der optischen Qualitätsprüfung

Allerdings sind KI-Modelle für die optische Qualitätsprüfung keine Plug-and-Play-Lösungen. Vor dem produktiven Einsatz sind eine ganze Reihe von Herausforderungen zu überwinden.

Höhere Investitionen

Die optische Qualitätsprüfung mit KI erfordert viel höhere Investitionen als eine herkömmliche, regelbasierte Lösung: in Hard- und Software und in das Training der KI. Deshalb sollten Unternehmen zunächst prüfen, welchen Nutzen ihnen eine KI-basierte Lösung bringt und ob dieser die Kosten rechtfertigt.

Beschaffung der Trainingsdaten

Ein KI-Modell ist nur so gut, wie es trainiert wurde. Dafür werden Trainingsfotos von guten Teilen und Teilen mit Fehlern aller Art benötigt. Diese muss das Unternehmen erst einmal sammeln. Wenn die Produktion sehr zuverlässig ist, gibt es meist wenig Daten zu Fehlern. Ohne diese wird die KI jedoch nur einfache Fälle prüfen können oder sehr unzuverlässig sein.

Zudem müssen die Trainingsdaten manuell gelabelt oder annotiert werden: Menschen sichten die Bilder und geben an, ob das Objekt gut oder schlecht ist und welche Art Fehler auf einem Bild zu sehen ist. Daraus lernt die KI. Bei zig Tausenden Bildern kann ein enormer Aufwand für diese Tätigkeit entstehen.

Längere Anlaufphase

Abhängig von der Menge an Trainingsdaten dauert es eine Weile, bis eine KI das erforderliche Qualitätsniveau erreicht. Bis sie jeden möglichen Fehler einmal gesehen hat, kann es Jahre dauern. Solange muss ein Unternehmen eventuell zusätzliche, redundante Prüfungen durchführen.

Fehleranfälligkeit

Wie schon erwähnt, arbeiten KIs mit Wahrscheinlichkeiten und können Fehler übersehen. In manchen Bereichen gilt jedoch Null-Fehler-Toleranz: Eine schlechte Schweißnaht an der Autokarosserie könnte Menschen das Leben kosten. In solchen Fällen darf sich der Hersteller nicht allein auf eine KI in der Qualitätskontrolle verlassen.

Software- und Hardware-Anforderungen für den Einsatz

Ein System für die optische Qualitätskontrolle besteht aus den folgenden Komponenten: Kameras, Bildverarbeitungssoftware, Computerhardware und Infrastruktur. Für die Einführung empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit einem spezialisierten Dienstleister: etwa Anbieter für industrielle Bildverarbeitungslösungen und optische Inspektionssysteme oder Systemintegratoren. Diese können Komplettsysteme aus aufeinander abgestimmten Komponenten liefern.

Dienstleister bieten vortrainierte KI-Modelle für eine bestimmte Aufgabe an. Dadurch wird die Einführungs- und Trainingszeit deutlich verkürzt, im Vergleich zu einem neuen, selbst entwickelten Modell.

KI-basierte Bildverarbeitung benötigt exponentiell höhere Rechenleistung als normale Software. Um Bilddaten im Sekundentakt einer Produktionslinie zu verarbeiten, werden leistungsfähige Systeme benötigt. Die meisten KI-Modelle werden in der Cloud betrieben (Cloud AI). Diese Methode eignet sich jedoch oft nicht für die optische Qualitätskontrolle in der Produktion. Zwar stellt die Cloud unbegrenzte Rechenressourcen zur Verfügung. Es würde jedoch zu lange dauern, die Bilddaten über das Internet in die Cloud zu laden. 

Daher fahren die Systeme in der Regel zweigleisig: Die KI wird nach wie vor in der Cloud trainiert. Die Inferenz-Modelle (die trainierten Modelle für die Anwendung) betreibt man dann auf Computern direkt in der Produktionshalle als sogenannte Edge AI. Sie laufen auf spezieller, leistungsfähiger Hardware, die auf KI-Nutzung und Dauerbetrieb optimiert ist.

Erfahren Sie mehr zu den Vorteilen von Edge AI und welche Computing-Lösungen sich dafür eignen.

Paul Jensen

Paul Jensen

Paul Jensen ist Product Manager bei InoNet und verantwortet diverse Produktkategorien und Serviceleistungen.