Machine Vision vs. Computer Vision: Wo liegen die Unterschiede?
Zusammenfassung: Machine Vision und Computer Vision im Vergleich
Beide Begriffe beschreiben Technologien, die Computern die Fähigkeit verleihen, zu „sehen“: d.h. Bilder zu verarbeiten und zu verstehen. Der Hauptunterschied liegt in ihrem Fokus und Anwendungsbereich: Machine Vision ist in erster Linie auf die Lösung spezifischer, praktischer Probleme im industriellen Umfeld ausgerichtet. Computer Vision hingegen ist ein weitreichenderes Forschungsfeld, das darauf abzielt, Maschinen ein generelles Verständnis visueller Informationen zu vermitteln. Machine Vision ist somit ein mögliches Anwendungsgebiet von Computer Vision, wobei Computer Vision die technologischen Grundlagen für Machine Vision Anwendungen (und für viele andere) liefert.
Was ist Machine Vision?
Definition und Ziele
Machine Vision (Maschinelles Sehen) bezeichnet die Fähigkeit von Maschinen, physische Objekte mithilfe von Kameras und anderen Sensoren optisch wahrzunehmen und zu analysieren. Anhand der Informationen kann ein System Entscheidungen treffen und Reaktionen auslösen.
Die Technologie wird in industriellen Anwendungen eingesetzt, beispielsweise in der optischen Qualitätskontrolle. Deshalb wird Machine Vision oft mit dem Begriff der industriellen Bildverarbeitung gleichgesetzt. Durch die Anwendungen sollen Prozesse automatisiert und optimiert werden: der Betrieb wird wirtschaftlicher, die Qualität wird erhöht und die Belastung für den Menschen bei eintönigen oder körperlich schweren Arbeiten reduziert.
Machine Vision nutzt sowohl Technologien, die auf künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen basieren, als auch herkömmliche Softwarealgorithmen, die auf Regeln und festgelegten Parametern aufbauen.
Funktionsweise und technologische Komponenten
Machine Vision funktioniert in einem dreistufigen Prozess, für den ein Komplettsystem aus Hard- und Softwarekomponenten benötigt wird. Er läuft folgendermaßen ab:
1. Bilder aufnehmenKameras und Sensoren: Kernstück jedes Machine-Vision-Systems sind Kameras und Sensoren, die Bilder der zu inspizierenden Objekte aufnehmen. Auflösung, Geschwindigkeit und Sensibilität variieren je nach Anforderung. Es gibt etwa monochrome (Schwarz-Weiß) oder Farbkameras, 3D-Kameras für räumliche Erfassung und Infrarotkameras für Anwendungen in besonderen Lichtverhältnissen. Durch künstliche Beleuchtung werden konsistente und optimale Lichtverhältnisse geschaffen und damit die Sichtbarkeit und Kontraste der Objekte verbessert.
2. Bilder verarbeiten
Bildverarbeitungssoftware: Nach der Aufnahme wird das digitale Bild per Software weiterverarbeitet. Diese führt eine Reihe von Algorithmen aus, um das Bild zu analysieren. Dazu gehören Schritte wie die Vorverarbeitung (z. B. Rauschreduzierung, Kontrastanpassung), die Segmentierung (Unterteilung des Bildes in relevante Teile oder Objekte), die Merkmalsextraktion (Identifizierung spezifischer Merkmale der Objekte) und die Klassifizierung (Zuordnung der Objekte zu vordefinierten Kategorien).
Computer-Hardware: Die Bildverarbeitung läuft auf leistungsfähigen, robusten Edge-Computern, direkt in der Werkhalle. Lesen Sie mehr über die Hardware-Anforderungen in der automatisierten optischen Inspektion.
3. Entscheidungen treffen
Steuerungslogik: Die Steuerungslogik löst basierend auf den Analyseergebnissen weitere Aktionen aus. Basierend auf der Analyse trifft das System Entscheidungen, etwa, ob ein Produkt den Qualitätsstandards entspricht oder nicht. Diese Entscheidungen können zur Steuerung von Maschinen oder Anlagen in den nachfolgenden Prozessschritten verwendet werden.
Schnittstellen: Machine-Vision-Systeme sind in der Regel in Produktionslinien oder Automatisierungssysteme integriert. Über standardisierte Schnittstellen und Protokolle kommunizieren sie mit anderen Systemen. Sie übermitteln diesen ihre Entscheidungen, um weitere Aktionen auszulösen.
Anwendungsbereiche
Machine-Vision-Systeme werden im industriellen Umfeld für folgende Anwendungen eingesetzt:
1. Optische Qualitätskontrolle
Die Systeme überprüfen Produkte oder Bauteile auf Merkmale wie Material- und Montagefehler, Oberflächenbeschaffenheiten und Abmessungen. Hochauflösende Kameras und präzise Bildverarbeitungsalgorithmen erkennen selbst kleinste Unregelmäßigkeiten lückenlos. Manuelle Inspektionen durch menschliche Prüfer sind daher seltener oder gar nicht mehr notwendig.
Lesen Sie auch: Was bringt künstliche Intelligenz in der optischen Qualitätsprüfung?
2. Robotersteuerung
Machine Vision wird zur Steuerung von Robotern verwendet, etwa in der Montage und beim Verpacken. Kamerasysteme erfassen Abmessungen, Position und Orientierung von Teilen in Echtzeit. Die „sehenden“ Roboter können dann Objekte präzise greifen und platzieren.
3. Sortierung und Klassifizierung
In Bereichen wie Logistik, Verpackung und Lebensmittelherstellung erleichtert Machine Vision die automatische Sortierung von Objekten nach Größe, Form, Farbe, Qualität, Barcode und anderen Merkmalen. Daraufhin können Prozesse in der Lagerung oder im Versand automatisiert werden.
4. Identifikation und Rückverfolgbarkeit
Bei sensiblen Produkten wie im Pharma- und Lebensmittelbereich muss die gesamte Lieferkette eines Produktes rückverfolgbar sein. Machine-Vision-Systeme spielen hierbei eine Schlüsselrolle: sie erkennen Barcodes, QR-Codes, andere Markierungen und Beschriftungen. So lassen sich unter anderem gefälschte Produkte erkennen oder Ursachen für Qualitätsmängel in der Lieferkette aufdecken.
5. Sicherheit
Obwohl primär in industriellen Kontexten eingesetzt, trägt Machine Vision auch zur Verbesserung von Sicherheitslösungen bei. Systeme können etwa zur Überwachung von Sicherheitsbereichen oder zur automatisierten Erkennung von Fahrzeugkennzeichen eingesetzt werden. Die Technologie unterstützt das Sicherheitspersonal und verkürzt die Reaktionszeiten bei sicherheitsrelevanten Ereignissen.
Was ist Computer Vision?
Definition und Ziele
Computer Vision ist ein breites, interdisziplinäres Forschungsgebiet im Bereich Informatik und künstlicher Intelligenz. Es befasst sich grundsätzlich mit der Fähigkeit von Computern, Informationen aus visuellen Daten zu extrahieren, diese zu verarbeiten und zu interpretieren und daraus zu lernen.
Das Ziel ist, Maschinen eine visuelle Wahrnehmung zu ermöglichen, die der menschlichen Sehfähigkeit ähnelt oder diese in bestimmten Feldern sogar übertrifft. Computer-Vision-Technologien können in zahlreichen Anwendungen eingesetzt werden: in Industrie, Sicherheitstechnik oder beim autonomen Fahren.
Funktionsweise und technologische Komponenten
Bei der Computer Vision wird eine Software mit visuellen Daten gefüttert, mit Fotos oder Videos. Diese können sowohl „live“ aus Kameras übermittelt oder aus einem Speicher geladen werden; die Herkunft spielt keine Rolle. Die Daten werden dann in der Software mit verschiedenen Methoden bearbeitet und analysiert, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen.
Für eine verlässliche Funktionsweise der Software wird leistungsstarke Hardware benötigt. Erfahren Sie mehr über unsere Vision Computer, welche speziell für den Einsatz von KI entwickelt wurden:
Die Aufnahme der Bilddaten sowie die praktische Verwendung der Analyseergebnisse fallen nicht in den Bereich der Computer-Vision-Anwendung. Die Ergebnisse können sowohl von anderen Maschinen als auch von Menschen genutzt werden.
Computer Vision umfasst unter anderem folgende Methoden und Technologien:
1. Bildverarbeitung und -analyse
- Vorverarbeitung: Die Bildqualität wird verbessert durch Techniken wie Rauschunterdrückung, Kontrastanpassung und Farbkorrektur.
- Segmentierung: Das Bild wird in relevante Bereiche oder Objekte eingeteilt, etwa auf Basis von Farbe, Intensität oder Textur.
- Merkmalsextraktion: Charakteristische Merkmale aus den Bildern werden identifiziert und extrahiert, wie Kanten, Ecken oder komplexere Muster.
2. Mustererkennung und maschinelles Lernen
- Klassifizierung: Die extrahierten Merkmale werden in vordefinierte Kategorien (Menschen, Gesichter, Autos, Bäume usw.) eingeordnet.
- Objekterkennung: Spezifische Objekte innerhalb des Bildes werden lokalisiert und Merkmale wie Größe oder Position bestimmt.
- Strukturerkennung und Szeneninterpretation: Anhand der erkannten Objekte, deren räumlicher Anordnung und Beziehungen, kann die Bedeutung einer ganzen Szene erkannt werden.
Für die genannten Aufgaben werden in der Regel maschinelles Lernen (Machine Learning) und tiefe neuronale Netze (deep neural networks) eingesetzt.
Anwendungsbereiche
Die Technologien der Computer Vision bilden die Grundlage für zahlreiche Anwendungsfälle und Systeme in unterschiedlichsten Bereichen. Oben wurden bereits einige aus der industriellen Bildverarbeitung beschrieben. Weitere sind:
1. Autonome Fahrzeuge
Durch die Verarbeitung von Echtzeitbildern aus Kameras rund um das Fahrzeug können Computer-Vision-Systeme andere Fahrzeuge, Fußgänger, Straßenschilder und Fahrbahnmarkierungen erkennen und interpretieren. Diese Informationen sind grundlegend für Entscheidungsfindungsprozesse des Fahrzeugs, wie Navigation, Lenkung und Geschwindigkeitskontrolle. Erfahren Sie mehr über die Anwendung von Computer Vision Systemen in unserer Case Study: Datenakquisition und Datalogging für ADAS.
2. Medizinische Bildgebung und Analyse
In der Medizin ermöglicht Computer Vision die detaillierte Analyse von Daten wie Röntgenbildern, MRT- und CT-Scans. Algorithmen können bei der Erkennung und Diagnose von Krankheiten unterstützen, indem sie Muster identifizieren, die für das menschliche Auge schwer zu erkennen sind. Dies verbessert die Genauigkeit von Diagnosen und die Effizienz von Behandlungen. Lesen Sie mehr über unsere Industrie Computer in der Medizintechnik.
3. Weitere, wie Einzelhandel, Landwirtschaft und Gesichtserkennung
Im Einzelhandel wird Computer Vision eingesetzt, um das Einkaufserlebnis zu verbessern; etwa mit intelligenten Kassensystemen, die Produkte auch ohne Barcode-Scan erfassen. Zudem ermöglicht die Analyse von Bildern der Videoüberwachung Einblicke in das Verhalten und die Vorlieben der Kunden. Mit den Erkenntnissen kann unter anderem die Ladeneinrichtung und die Sortimentsgestaltung optimiert werden. Computer Vision findet auch in der modernen Landwirtschaft Anwendung. Drohnen und automatisierte Systeme nutzen Bildverarbeitung, um Pflanzenwachstum zu überwachen, Ernteerträge zu schätzen und Schädlingsbefall oder Krankheiten frühzeitig zu erkennen. Dies hilft unter anderem, den Ertrag zu steigern, ohne mehr chemischen Dünger und Pestizide einzusetzen. Gesichtserkennungstechnologien werden in der Sicherheitstechnik, bei der Authentifizierung von Nutzern auf Smartphones oder Computern und in sozialen Medien für die automatische Tagging-Funktion von Fotos eingesetzt. Die Algorithmen können Gesichter in Bildern identifizieren und sogar Emotionen erkennen. Dadurch können zum Beispiel Roboter trainiert werden, mit Menschen selbst „menschlicher“ zu interagieren.
Unterschiede von Machine Vision und Computer Vision
Durch Direktvergleiche einiger Merkmale lassen sich die Konzepte hinter Machine Vision und Computer Vision noch besser verstehen:
Einsatzbereich
|
Machine Vision |
Computer Vision |
Einsatzbereich |
Wird in konkreten Anwendungen der industriellen Automation eingesetzt, um Maschinen und Prozesse zu steuern. |
Stellt Methoden und Technologien bereit, die in zahlreichen, ganz unterschiedlichen Gebieten zum Einsatz kommen. |
Bildverarbeitung und -analyse |
Wertet vorgegebene Merkmale eines Bildes aus, um eine ganz bestimmte Entscheidung zu treffen. |
Ist eher auf ein ganzheitliches Verständnis des Bildes ausgerichtet, um neue Erkenntnisse zu gewinnen oder bestimmte Muster zu erkennen. |
Herkunft der visuellen Daten |
Verarbeitet nur Echtzeit-Daten, die von den systemeigenen Kameras oder Sensoren stammen. |
Wertet jede Art Bildmaterial aus, sowohl Echtzeit-Daten als auch historische Daten aus verschiedenen Bildquellen. |
Verwendung der Analyseergebnisse |
Ergebnisse werden direkt vom angebundenen System verarbeitet und führen (teil-)automatisiert zu weiteren Aktionen. |
Ergebnisse können auf jede erdenkliche Art verwendet werden: für die Automatisierung, zur Unterstützung von menschlichen Entscheidungen oder als Basis für die weitere Forschung. |
Paul Jensen
Paul Jensen ist Product Manager bei InoNet und verantwortet diverse Produktkategorien und Serviceleistungen.
Über unser InoNet Wiki
Hier erhalten Sie Antworten auf Ihre Fragen rund um Industrie PCs (IPCs). Ob 19 Zoll PCs, Embedded PCs, HMI oder wichtige anwendungsspezifische Fragen -unsere Experten teilen ihr wissen mit Ihnen.